Sonntag, 3. August 2014

Die Kartoffelodyssee



Durch eine glückliche Fügung war ich soeben mit meiner Liebsten ein paar Tage in einem unglaublich netten Wellness Hotel in Gmünd (hier der Link). Schon bei der Hinreise überlegte ich mir, was ich denn Passendes aus dem tiefsten Waldviertel mitnehmen könnte. Mohn kam seit meinem Erlebnis im Mohndorf Armschlag nicht in Frage (hier das Geschichtchen zur Erinnerung). Also dachte ich mir - das Waldviertel ist ja auch für Erdäpfel bekannt - ich nehme ein paar spezielle Kartoffelsorten, am besten in Bioqualität, mit. 

Am ersten Urlaubstag war ich deshalb nicht wellnessen, sondern setzte mich ins Auto, um nach einem Ort Ausschau zu halten, den ich liebevoll Gemüsestrich nenne. Gemeint sind jene Häuser oder Hütten, die am Straßenrand eben alle Arten von Gemüse und Obst anbieten. Nach ein paar Stunden, ohne ein einziges Schild für Kartoffeln gefunden zu haben, wurde mir die Sache langsam zu blöd, und bei der russischen Grenzstation kehrte ich um. 

Gleich nach dem Frühstück des zweiten Urlaubstags ging ich aufs Zimmer und befragte das Internet. Nach einer schier endlosen Suche kam ich auf mehrere Dinge. Erstens: die Zeit für Heurige Kartoffel ist genau jetzt im Juli/August. Zweitens: in einem Landstrich, wo die Industrialisierung noch nicht abgeschlossen ist, Kartoffelbauern mit einer Homepage finden zu wollen, ist leicht naiv. Und drittens wurde mir immer bewusster, dass es leichter ist, in diesem Landstrich waffenfähiges Plutonium zu bekommen als Kartoffeln. 

Am dritten Tag versuchte ich, das Personal des Hotels dazu zu bringen, mir ihre geheimen Kartoffelquellen zu verraten. Doch auch Dieses fruchtete nicht. Ich war inmitten einer Erdäpfelverschwörung. Die einen antworteten auf die Frage, wo sie ihre Kartoffel kauften, nervös "im Supermarkt", die anderen liefen einfach davon und waren nie mehr gesehen. 

Völlig frustriert und überhaupt nicht entspannt verließ ich das Hotel mit meiner Freundin kartoffellos und wir fuhren gen Wien. Um uns bei Laune zu halten, rechnete sich das Navi eine komplett andere Route als bei der Hinfahrt aus - quasi ein „Best of Waldviertler Dörfer“. So saß ich leise schluchzend am Beifahrerplatz, während meine Freundin den Weg durch allmählich größer werdende Ortschaften zurück in die Zivilisation suchte. Schon fast das Waldviertel verlassend (die Gaslaternen sind wieder Strommasten gewichen), machte sie in einem Ort eine so starke Vollbremsung, dass das nachkommende Pferdefuhrwerk kurz stehen bleiben musste. Aus meinem verheulten Augenwinkel sah ich ein Schild: "Bauernladen - offen". Nachdem ich abwechselnd die Straße und meine Freundin geküsst hatte, trocknete ich meine Tränen und betrat das Geschäft. 
Voller Freude sah ich auf Regale voller Mohnzelten, Tees, Waldviertler Whiskey und anderer Schmankerl aus der Region. Da ich keine Erdäpfel sah, fragte ich die Verkäuferin, wo sich ebendiese Schätze denn versteckten. Die Antwort traf mich völlig unvorbereitet - sie habe leider keine Kartoffel, aber wenn ich wollte, sie hätte noch eine Schuhschachtel Plutonium übrig.

Eine Welt brach für mich zusammen, aber wie es sich für einen Mann in meinem Alter gehört, ließ ich mir kaum etwas anmerken. Nach dem darauffolgenden zehnminütigen Wutanfall, der nur durch lange Pausen des Luftanhaltens unterbrochen wurde, hatte die Verkäuferin doch Mitleid mit mir. Sie führte mich in ein Hinterzimmer, welches mit Eierkartons ausgekleidet war. Ich gab mein Handy ab, wurde nach Abhörwanzen durchsucht und schwor (die rechte Hand auf dem Lagerhauskatalog 1968/69) dass ich die nun folgenden Informationen nie preisgeben werde. Dann verriet mir die Dame, dass ihre Mutter, stolze Besitzerin eines Herzschrittmachers, langsam dement werde und nebenbei noch Kartoffelbäuerin sei. Sie würde auch einem Wiener Kartoffeln verkaufen. Wir müssten nur einen kleinen Umweg von 50 Kilometern mit dem Auto und danach eine mehrstündige Wanderung über einen Klettersteig machen, und dann würden wir den Hof schon finden. Die Wegbeschreibung war auch einfach: zuerst gerade aus, dann zweimal links und beim Hundehaus rechts rein. Nach mehreren Stunden und der Erkenntnis, dass die Waldviertlerin mit Hundehaus das "Hyundai" Autohaus gemeint hatte, fanden wir tatsächlich den Hof samt Bäuerin. Nach einem geheimen Handschlag verkaufte uns diese tatsächlich 10 Kilo Bioepfi, die sie liebevoll aus einem Kübel neben der Schweinetränke klaubte. 

Ich bin und bleibe ein Glückskind, ich hatte meine Erdäpfel, und musste nicht einmal in Schilling zahlen! Zu Hause angekommen gab es ein Festmahl aus Erdäpfelpuffer, Lachs und Apfelmus. Das Rezept gibt es nach einem feierlichen Schwur auf den aktuellen Lagerhauskatalog.

Das harterkämpfte Abendessen



  
der heilige Gral des Waldviertels in neutraler Verpackung


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